Vocalise in Potsdam
Das musikalische Strahlen der Psalmen
Werke von Bernstein, Strawinsky und Rutter standen am Sonntag
auf dem Programm der Potsdamer Kantorei.
Potsdam – Das Potsdamer Festival Vocalise unter der Leitung des Dirigenten Ud Joffe ist ein wunderbares Zusammentreffen von Chören, Ensembles und Solisten, die der menschlichen Stimme ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Am Sonntag begeisterte die Potsdamer Kantorei mit ihrem Vocalise-Konzert die Zuhörer in der Erlöserkirche. Drei höchst anspruchsvolle Werke standen auf dem Programm: Chichester Psalms von Leonard Bernstein, die Psalmensinfonie von Igor Strawinsky sowie das Gloria von John Rutter. Die Psalmvertonungen, die in der jüdischen Religion ihre ursprüngliche Heimat haben, doch auch für Christen als Gebete unentbehrlich sind, sowie das liturgische Gloria der beiden großen Weltkirchen hatten auch im 20. Jahrhundert ihre Komponisten gefunden. „Welche Freude bereitet es“, so Strawinsky, „Musik zu einer Sprache zu schreiben, die seit Jahrhunderten unverändert besteht, die fast rituell wirkt und dadurch allein schon einen tiefen Eindruck hervorruft.“
Leonard Bernsteins Chichester Psalms, die 1965 im Auftrag des Musikfestivals im südenglischen Sussex entstanden sind, beschäftigen sich mit den Themen Krieg und Frieden, aber auch mit der Stellung des Menschen gegenüber Gott. Die Mitglieder der Potsdamer Kantorei können sich glücklich schätzen, dass sie mit Ud Joffe einen Dirigenten an der Seite haben, der als Jude mit den hebräischen Texten bestens vertraut ist. Der Chor meisterte somit das Idiom des hebräischen Gesangs mit erstaunlicher Ausdruckskraft. Die Sängerinnen und Sänger wussten den überschwänglichen Lobpreis des ersten Satzes sowie die sanfte Melodie des folgenden Satzes (Der Herr ist mein Hirte) und den wiegenliedhaften Schlusschoral mit großer Intensität zu singen. Als Solist konnte der Knabensopran Florian Geiger von den Aurelius Sängerknaben Calw gewonnen werden, der seinen Part mit schlichter und ergreifender Schönheit sang. Auch das Neue Kammerorchester Potsdam war an dem Erfolg beteiligt. Es wusste die verschiedenen Farben, die Bernstein für die Instrumentierung vorsah, mit feiner Sensibilität zu musizieren.
Bei der anschließend interpretierten Psalmensinfonie von Igor Strawinsky aus dem Jahr 1930 ließ Ud Joffe die Musiker jedoch stark am Lautstärkeregler drehen. Somit war die Gewichtung zwischen Vokalem und Instrumentalem nicht durchweg gegeben. Vor allem die Männerstimmen gingen im zweiten Satz im Orchesterstrudel unter. Die Farbumschläge wurden dann wieder mit den fein abgemischten Mixturen im dritten Satz deutlich. Da konnte die homogen singende Kantorei wieder zu einer Transparenz zurückkehren, die man von ihr im Besonderen erwartet. Die rhythmische Energie von Chor und Orchester beeindruckte, besonders nach der kunstvoll evozierten Archaik des „Alleluia“-Beginns. Es entstand eine ausdrucksstarke Monumentalität von einiger Eleganz.
Mit dem Gloria aus dem Jahr 1974 hat der Engländer John Rutter ein ausgewiesen festliches Stück Sakralmusik komponiert. Der Komponist, der in seinem Schaffen zwar dem Harmoniesystem des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet ist, bringt dennoch eine Rhythmik ein, die Stilelemente des Jazz aufweist. Dies bürgt für ein gewisses Maß an Originalität. Schnell sind aber bei Rutter die Muster durchschaut, die seiner pompös daher kommenden Musik mit ihren Crescendowirkungen zugrunde liegen. Gesangsolistinnen (Esther Hilsberg, Roksolana Chraniuk, Ulrike Jahn), groß besetzte Ensembles bei Chor und Orchester – man könnte auch meinen, fast alles, was an diesem Abend musikalisch zur Verfügung stand, wurde aufgeboten, um den Lobgesang mit brausendem Fortissimo zu einem strahlenden Finale zu führen. Danach wurden Ud Joffe, die Kantorei und das Neue Kammerorchester von den Vocalise-Konzerthörern herzlich gefeiert.
Klaus Büstrin
Erschienen am 26.11.2019 auf Seite 17